Dienstag, 22. Februar 2011

Berlinale 2011-6: The Forgiveness of Blood

The Forgiveness of Blood, von Joshua Marston. USA-ALB 2010 (Wettbewerb)

Ein Dorf irgendwo in Albanien, wie es wohl hunderte von gibt. Eine sechsköpfige Familie wie tausend andere. Der Vater liefert mit Pferd Klinsmann und einem Karren der Marke "Eigenbau" Brot im und um das Dorf herum aus, die Mutter arbeitet in der Stadt und kümmert sich mit der 15-jährigen Tochter Rudina um den Haushalt und die zwei kleinen Kinder Dren und Boga - klar, ist ja Frauensache. Hauptfigur ist jedoch der Älteste, der 17-jährige Nik. Er ist hauptsächlich mit seinen pubertären Sorgen beschäftigt, also Aussehen, seine erste große Liebe sowie seinen Zukunftsplänen: Wenn er mit der Schule fertig ist, will er im Dorf ein Internetcafé eröffnen.

Doch bevor es dazu kommt, wird Nik aus seiner Welt herausgerissen. Zusammen mit seinem Vater Mark tötet sein Onkel im Streit den Statthalter eines Clans, mit dem die Familie schon länger im Clinch um einen versperrten Feldweg liegt. Während Mark untertaucht, darf Nik das Haus fortan nicht mehr verlassen. Der "Kanun", die jahrhundertealte Tradition, gibt der Familie des Ermordeten sonst das Recht ihn und alle anderen männlichen Nachkommen zu töten. Rudina, die eigentlich von einem Studium an einer Universität geträumt hatte, muss nun das Brot ausfahren. Anfangs noch widerwillig, akzeptiert sie bald ihre neue Rolle und mutiert zu einer wahren Geschäftsfrau. Nik hingegen ist wütend und frustriert, was auch den Rest der Familie zunehmend fertig macht. In seiner Verzweiflung schleicht er sich eines Nachts sogar aus dem Haus, um seine Angebetete zu treffen. Was ihn und seine Familie jedoch in noch größere Gefahr bringt, denn die wachsamen Augen des Feindes sind überall.

Joshua Marston erzählt diese Tragödie in ruhigen, fast schon zu schönen Bildern. Er verzichtet fast komplett auf Musik und auf überzeichnete Dramen. Stattdessen wechseln Landschaftsaufnahmen sommerlicher Dorfidylle mit alltäglichen Handlungen wie Pferdfüttern, zuhause Playstationspielen und dem Plausch am Gartenzaun ab, nur dass eben zwischendurch hart geschossen wird. Auf diese Weise gelingt es ihm, diesen aus mitteleuropäischer Sicht völligen Wahnsinn als etwas ganz Normales darzustellen. Marstons erster großer Trick besteht schon darin, den Auslöser, nämlich den Mord, gar nicht zu zeigen. Dadurch wird unbewusst das Unverständnis über die absurde Strafe noch größer.

Diese Art von Blutrache geschieht bis heute quasi täglich in Albanien, nur dass die Todesdrohungen inzwischen auch per SMS ankommen. Schön auch, dass Marston die Geschichte konsequent anhand der beiden Figuren Nik und Rudina erzählt, die eigentlichen Täter also völlig außen vor lässt, zugleich die beiden jedoch nicht in eine Opferrolle drängt. Beide sind wütend auf das Schicksal, das ihnen einen Strich durch ihre Pläne macht. Doch beide - die eine früher, der andere später - akzeptieren es schließlich. Und handeln, im Gegensatz zu der Elterngeneration, jeder auf seine Weise mutig.

sehr sehenswert
(Silberner Bär für Joshua Marstons Drehbuch)

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