Donnerstag, 24. Februar 2011

Lieber Karl Theodor,

ab heute heißt Du also nicht mehr Herr Doktor. Dumm gelaufen, aber gib's zu: Du hast es selbst verkackt. Ich war zwar vorher schon kein Fan von Dir, wenn auch Deine Bundeswehrreform mir recht solide und durchdacht erscheint. Was Deine Person betrifft, sofern ich das via Massenmedien beurteilen kann: Was mir an dem "Hochhalten alter Werte" nicht gefällt ist vermutlich das Wort "alt". Doch mit welcher Glitschigkeit Du Dich diesmal aus der Nummer windest, ist einfach nur noch wiederlich.

Klar. Kein Mensch liefert eine Fehlerfreie Dissertation ab. Und ich unterstelle Dir nicht einmal, dass hinter Deinem "Copy & Paste"-Prinzip böse Absicht steckt oder Du vielleicht aus Zeitmangel einen Gostwriter engagiert hast. Das Blöde ist nur: Du bekleidest ein öffentliches Amt. Wenn Du Sachbearbeiter bei BMW, ja selbst wenn Du TV-Moderator oder sonst irgendeine Rampenlichtsau wärst, wäre das alles nicht so schlimm. Aber Du bist Verteidigungsminister. Du hast ein Mandat. Und Mandat bedeutet Vertrauen, und zwar von uns, dem Volk, das Du "verteidigen" sollst. Dieses Volk hast Du stattdessen verarscht.

Mal ganz abgesehen davon, dass es von hochgradiger Dummheit zeugt Zitate nicht zu markieren, in einer juristischen Doktorarbeit, in der man über 85 Prozent der Strecke nichts anderes tut als Literatur zu zitieren. Das wäre wie wenn ich als Biologe eine auf Feldversuchen basierende Dissertation schreiben würde, aber zu faul für die Versuche wäre und mir Zahlen nach dem Lottoprinzip suchen würde. Nur, dass bei mir die Zeitersparnis ca. zwei Jahre betragen würde, bei Dir hingegen - keine Ahnung, sag Du's mir - zweieinhalb Wochen? Du tischst uns die Standardausrede eines jeden Normalbürgers auf, wofür Dich ein Großteil dieses offenkundig verblödeten Volkes auch noch liebt: Ich war im Stress. Familienvater, politische "Leidenschaft", dann noch "intellektuelle Herausforderung", das war dann wohl doch nicht zu schaffen. Mir und v.a. all den alleinerziehenden bzw. de facto fast-alleierziehenden Akademikerinnen kommen die Tränen. "Domm g'lofa", tät der Schwab sagen.

Wie großzügig und vorbildlich also von Dir, dass Du einsiehst, dass Du Dich wohl überschätzt hast. Und auf den Doktortitel verzichtest - erst vorübergehend, nachdem sich das Fußvolk übers Wochenende dummerweise nicht beruhigt hat dann doch endgültig. Komischerweise werde ich das Gefühl nicht los, dass Dein Doktortitel nur ein Bauernopfer ist, mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Merkel und der Uni Beyreuth. Nach dem Motto: Gebe Titel ab, behalte dafür Amt.

So geht das aber nicht. Du glaubst, Du stehst für Rechtschaffenheit und "alte Werte" wie Verantwortungsbewusstsein. So stehst Du aber nur für Unehrlichkeit und "alte Werte" wie elitäres Denken und Gutsherrenart. Nicht, dass mich das irgendwie persönlich überraschen würde. Aber damit bringst Du die Wissenschaftsbranche in Misskredit und machst ungeniertes Lügen in der Politik (noch) hoffähig(er). Und wie Du vergangene Woche mit den Journalisten umgesprungen bist, mit Deiner - hoppla, blöder Zufall - Erklärung vor ein paar handverlesenen Reportern zeitglich zur Regierungs-PK, das hatte fast schon was von einem Despoten. Vielleicht sollte Dir jemand nochmal das Grundgesetz vorlesen, Artikel 1 bis 20 reichen schon.

Kurzum, Du begehst jetzt denselben Fehler, den Du schon während Deiner Fake-Diss gemacht hast. Du überschätzt Dich. Aber wie wir alle wissen - ja, auch das Fußvolk, man kann's nämlich googlen, kommt Hochmut vor dem Fall. Nur dass diesmal die Fallhöhe ungleich tiefer sein wird.

Einen guten Flug wünscht
Rosa K.

Dienstag, 22. Februar 2011

Berlinale 2011: Bilanz

Insgesamt habe ich in 10 Tagen (2 Tage Pause dank spontaner Kotzeritis) 18 Filme gesehen. Vielfach war zu lesen, dass es einer der schwächsten Berlinalejahrgänge gewesen sei, dass v.a. der Wettbewerb zur Hälfte nur aus Lückenbüßern bestand usw. Mir fehlt ja der Vergleich, doch ich muss sagen: Ich fand fast alle Filme gut bis herausragend.

Das liegt sicherlich auch daran, dass ich wenig experimentierfreudig bin und ich mich relativ gezielt an das diesjährige Thema "zwischenmenschliche Beziehungen" gehalten habe. Das Ergebnis war, dass ich z.B. am Dienstag in vier Filmen war, in denen allesamt die Männer bzw. Väter ganz schlecht wegkamen (Nader & Simin, Amnistia, Mabul, Toast). Aber es ist toll, dass man bei solch einem Festival Filme aus Ländern sieht, aus denen man weder einen Film kennt noch sonst eine Vorstellung von hat, die über Klischees und Nachrichtenbilder hinaus geht. Ich weiß jetzt, dass es in Ankara im Winter wirklich kalt ist, Armenien so aussieht wie Anatolien, persische Autokennzeichen etwas von Hieroglyphen irgendwelcher Sphingen haben und Israel nicht nur aus Tel Aviv, Klagemauer und Grenzposten besteht. Und wer hätte gedacht, dass ich gleich zwei Filme sehe, die in Albanien spielen?

Damit ich jaaa keinen Film vergesse, hier mein Hit-Ranking:
1. Jodaeiye Nader az Simin (zu Recht Gewinner des Goldenen Bären)
2. Romeos
3. The Forgiveness of Blood
4. Mabul
5. Ausente
6. Stadt Land Fluss
7. The Guard
8. Wer wenn nicht wir
9. Amnistia
10. Toast
11. Bizim büyük caresizligimiz
12. Griff the Invisible
13. Here

sehr schwach:
14. Utopians
15. Late Bloomers

Sonderpreis:
Dreileben - Drei Filme à 90 Minuten von Christian Petzold, Dominik Graf und Christoph Hochhäusler um einen flüchtigen Frauenmörder, wobei mir der Film von Graf am besten gefallen hat (kein Wunder, bin ich doch seit "Im Angesicht des Verbrechens" ein großer Fan Grafs). Insgesamt fand ich das Projekt sehr gelungen, wobei man ihnen den Faktor TV bisweilen angemerkt hat: Die Filme werden nach derzeitiger Planung im September 2011 in der ARD ausgestrahlt.

Berlinale 2011-6: The Forgiveness of Blood

The Forgiveness of Blood, von Joshua Marston. USA-ALB 2010 (Wettbewerb)

Ein Dorf irgendwo in Albanien, wie es wohl hunderte von gibt. Eine sechsköpfige Familie wie tausend andere. Der Vater liefert mit Pferd Klinsmann und einem Karren der Marke "Eigenbau" Brot im und um das Dorf herum aus, die Mutter arbeitet in der Stadt und kümmert sich mit der 15-jährigen Tochter Rudina um den Haushalt und die zwei kleinen Kinder Dren und Boga - klar, ist ja Frauensache. Hauptfigur ist jedoch der Älteste, der 17-jährige Nik. Er ist hauptsächlich mit seinen pubertären Sorgen beschäftigt, also Aussehen, seine erste große Liebe sowie seinen Zukunftsplänen: Wenn er mit der Schule fertig ist, will er im Dorf ein Internetcafé eröffnen.

Doch bevor es dazu kommt, wird Nik aus seiner Welt herausgerissen. Zusammen mit seinem Vater Mark tötet sein Onkel im Streit den Statthalter eines Clans, mit dem die Familie schon länger im Clinch um einen versperrten Feldweg liegt. Während Mark untertaucht, darf Nik das Haus fortan nicht mehr verlassen. Der "Kanun", die jahrhundertealte Tradition, gibt der Familie des Ermordeten sonst das Recht ihn und alle anderen männlichen Nachkommen zu töten. Rudina, die eigentlich von einem Studium an einer Universität geträumt hatte, muss nun das Brot ausfahren. Anfangs noch widerwillig, akzeptiert sie bald ihre neue Rolle und mutiert zu einer wahren Geschäftsfrau. Nik hingegen ist wütend und frustriert, was auch den Rest der Familie zunehmend fertig macht. In seiner Verzweiflung schleicht er sich eines Nachts sogar aus dem Haus, um seine Angebetete zu treffen. Was ihn und seine Familie jedoch in noch größere Gefahr bringt, denn die wachsamen Augen des Feindes sind überall.

Joshua Marston erzählt diese Tragödie in ruhigen, fast schon zu schönen Bildern. Er verzichtet fast komplett auf Musik und auf überzeichnete Dramen. Stattdessen wechseln Landschaftsaufnahmen sommerlicher Dorfidylle mit alltäglichen Handlungen wie Pferdfüttern, zuhause Playstationspielen und dem Plausch am Gartenzaun ab, nur dass eben zwischendurch hart geschossen wird. Auf diese Weise gelingt es ihm, diesen aus mitteleuropäischer Sicht völligen Wahnsinn als etwas ganz Normales darzustellen. Marstons erster großer Trick besteht schon darin, den Auslöser, nämlich den Mord, gar nicht zu zeigen. Dadurch wird unbewusst das Unverständnis über die absurde Strafe noch größer.

Diese Art von Blutrache geschieht bis heute quasi täglich in Albanien, nur dass die Todesdrohungen inzwischen auch per SMS ankommen. Schön auch, dass Marston die Geschichte konsequent anhand der beiden Figuren Nik und Rudina erzählt, die eigentlichen Täter also völlig außen vor lässt, zugleich die beiden jedoch nicht in eine Opferrolle drängt. Beide sind wütend auf das Schicksal, das ihnen einen Strich durch ihre Pläne macht. Doch beide - die eine früher, der andere später - akzeptieren es schließlich. Und handeln, im Gegensatz zu der Elterngeneration, jeder auf seine Weise mutig.

sehr sehenswert
(Silberner Bär für Joshua Marstons Drehbuch)

Freitag, 18. Februar 2011

Berlinale 2011-5: Romeos

Romeos (Romeos) von Sabine Bernardi, DEU 2010 (Panorama)

Lukas, gerade 20 geworden, ist endlich in der Großstadt Köln angekommen, um seine Zivistelle in einem Pflegeheim anzutreten. Allerdings wurde er im Schwesternwohnheim einquartiert. Was nach einem Versehen klingt, hat einen Grund - und ist für Lukas eine Katastrophe. Denn Lukas war bis vor kurzem Miri. Auf keinen Fall soll jemand dahinterkommen, lediglich seine beste Jugendfreundin Ine weiß bescheid. Am allerwenigsten Fabio, der ultramännliche Traumtyp aus der gemeinsamen Partyclique, in den sich Lukas sofort verliebt.

Fortan gibt er sich also noch mehr Mühe, möglichst männlich rüberzukommen. Wie besessen trainiert Lukas mit den Hanteln, notiert pennibelst den Umfang diverser Körperteile und bewundert stundenlang und stolz seine sprießenden Bartstoppeln - Details, die die Kamera wunderbar immer wieder einfängt. Er wird immer körperbesessener und ist glücklich, dass er bei seiner neuen Clique so gut ankommt. Nur Ine distanziert sich mehr und mehr von ihm und wünscht sich sogar "die alte Miri" wieder zurück. Sie weiß, dass auf lange Sicht niemand glücklich wird, der sich immer verstellen muss. Und so kommt es, wie es kommen muss: Ausgerechnet Fabio findet Lukas' Geheimnis heraus - und kann absolut nicht damit umgehen.

Regisseurin Sabine Bernardi, die auch das Drehbuch geschrieben hat, ist ein äußerst sensibler Film gelungen. Geschickt verwebt sie in die Liebesgeschichte die schonungslose und sicherlich gut recherchierte Wahrheit über den Istzustand eines "FTM" (Female-To-Male"). Wenn Lukas sich bei brütender Hitze ungelogen fünf T-Shirt-Schichten übereinander anzieht, um seine Brust zu kaschieren, oder sich per Webcam an die Transmann-Netcommunity wendet und sich live die 25. Testosteronspritze verpasst, ist zu erahnen, welcher Wille und Chuzpe hinter einem solchen Unterfangen stecken.

Ein großes Lob gilt dem Casting, denn Rick Okon ist als ganzer Kerl, der in einem halbgaren Körper gefangen ist, hundertprozentig überzeugend. Seine Gesichtszüge, seine Körperhaltung, überhaupt seine gesamte Ausstrahlung lässt in ihm immer wieder die Frau aufblitzen, die er irgendwann einmal war. Obwohl seine Welt für 99 Prozent der Zuschauer völlig fernab jeglicher Vorstellung liegt, leidet man in jeder Sekunde mit. Vermutlich, weil wir alle einen Großteil unserer Jugend mit dem Versuch verbringen, unseren Körper zu akzeptieren. Auch Maximilian Befort bildet als arroganter und doch sensibler Italomacho einen perfekten Gegenpol. Kurzum: Drehbuch, Schauspieler, Kamera, Schnitt - und Musik!! - hier passt alles zusammen.

herausragend

Berlinale 2011-4: Stadt Land Fluss

Stadt Land Fluss (Harvest) von Benjamin Cantu, DEU 2010 (Generation 14+)

Der 19-jährige Marko arbeitet als Azubi in einem großen Agrarbetrieb Jänickendorf, 60 Kilometer südlich von Berlin und steht kurz vor seinem Abschluss zum Landwirt. Was allerdings danach kommen soll, weiß er nicht. Er macht seine Arbeit gut, doch der echte Wille und Enthusiasmus fehlen ihm. Was auch seiner Ausbildungsleiterin Frau Butsche aufgefallen ist, die seinen Zustand der spätpubertären Ziellosigkeit mit "Wollen kommt nicht von Wolle" trocken kommentiert. Immer noch hadert Marko mit seiner Vergangenheit: aufgewachsen ohne Vater, bei einer alkoholkranken Mutter vor der er schließlich mit 15 weggelaufen ist.

Eines Tages taucht Jakob auf dem Hof auf, der scheinbar in einer ähnlichen Phase der Planlosigkeit steckt wie Marko. Er hat seine Banklehre abgebrochen und will mit dem Praktikum herausfinden, ob die Landwirtschaft etwas für ihn ist. Schnell findet er Anschluss bei den anderen Lehrlingen und auch seinen Vorgesetzten, allen voran die resolute Landwirtin Frau Thymian nimmt ihn unter ihre Fittiche. Nur Marko bleibt anfangs auch ihm gegenüber verschlossen, bis sich die beiden sich irgendwo zwischen Mähdrescher, Melkmaschine und Möhrenvereinzelungsanlage näherkommen. Bei einem Spontanausflug nach Berlin verlieben sie sich endgültig ineinander. Doch keiner der beiden weiß wohin, wenn überhaupt, diese Reise zu zweit gehen soll - sie wissen ja nicht einmal, wohin sie selbst wollen.

"Ich habe Leute bei der Feldarbeit gesehen und mir gesagt, ich will einen Film über Erde drehen", erzählte Cantu im Anschluss an die Vorführung. Das Spannende an diesem Projekt: Von den beiden Hauptdarstellern abgesehen wirken ausschließlich Leihendarsteller mit. Mama Butsche, Trekkerfahrerin Thymian und all die anderen kernigen Figuren arbeiten tatsächlich in Jänickendorf. Auch die landwirtschaftlichen Szenen sind größtenteils improvisiert, was dem Ganzen streckenweise einen dokumentarischen Charakter verleiht. Sicherlich gehen die manchmal etwas blassen Hauptfiguren bei all den schrulligen brandenburger Schnauzen fast etwas unter. Doch das schadet dem Film kaum und ist vielleicht sogar vom Regisseur so gewollt - und vor allem bisweilen zum Brüllen komisch. Denn, wie Eingangs erwähnt, ist die eigentliche Hauptfigur das Gefühl "ich fühl mich so leer, ich fühl mich Brandenburg" das Cantu geradezu respektvoll in wunderschöne Bilder fasst. So sehr, dass man direkt nach dem Kino in den Regionalexpress nach Cottbus einsteigen möchte (na ja, jedenfalls im Sommer).

sehenswert

Donnerstag, 17. Februar 2011

Berlinale 2011-3: Mabul

Mabul (The Flood) von Guy Nattiv, ISL 2010 (Generation K+)

Der zwölfjährige Yoni lebt mit seinen Eltern in Israel irgendwo auf dem Land und steht kurz vor seiner Bar Mitzwa. Er ist ein aufgeweckter, schlauer Junge, der gegen einen kleinen Obulus - "Freundschaftspreise", wie er sagt - täglich die Hausaufgaben von mindestens fünf Mitschülern erledigt. Das Geld investiert er in Proteinmittelchen, die er sich heimlich vom örtlichen Fitnessstudio besorgt. Yoni will endlich groß und stark werden, macht dafür täglich Glimmzüge und schreit sich an Felsklippen die Seele aus dem Leib, um endlich in den Stimmbruch zu kommen. Denn auf seine labile, mit Affären beschäftigte Mutter und dauerbekifften Vater kann er sich nicht verlassen.

Doch dann kommt ganz plötzlich Tomer nach Hause, Yonis älterer Bruder. Er bringt das ohnehin labile Gleichgewicht der Familie völlig durcheinander, denn er ist schwer autistisch. Die Mutter gibt sich Mühe mit ihm, ist jedoch völlig überfordert, der Vater klinkt sich vollends aus. Und Yoni kann seinen Bruder nicht akzeptieren, fährt ihn und seine Mutter immer wieder harsch an. Zu groß ist seine Angst vor dem Gerede im Dorf, mit dem "Irren" in einen Hut gesteckt zu werden. Doch mit der Zeit findet Yoni als Einziger Zugang zu Tomer: Indem sich die beiden auf eine gemeinsame Sprache einigen, nämlich die der Tora, der Passagen über Noah und die Sintflut, die Yoni für seine Bar Mitzwa auswendig lernen muss. Allerdings fängt Tomer irgendwann an, für seine Arche, ein altes Ruderboot im Schuppen, Tiere zu sammeln. Was mit dem heimischen Kaninchen und den Käfern aus dem Garten noch unproblematisch ist, führt zum Dorfeklat, als er sich an die Hühner der örtlichen Legebatterie ranmacht. Spätestens als sein Loser-Vater hinter seinem Rücken aus finanziellen Gründen die Bar Mitzwa-Feier absagen will wünscht sich Yoni die sprichwörtliche Sintflut herbei, die alles wegschwemmt ...

Mit "Mabul" ist Guy Nattiv ein wunderbarer, warmherziger Jugendfilm gelungen. Sehr geschickt und in schlicht-schönen Bildern erzählt er das Familiendrama aus der Sicht des Jungen (Kamera auf Brusthöhe & fast nur natürliches Licht!). Nattiv stellt sich ganz klar auf seine Seite und entblößt die mit sich selbst beschäftigten Erwachsenen als die eigentlichen "Autisten". Denn so sympathisch und liebenswert Vater und Mutter sind und ihre Unfähigkeit nur allzu menschlich, man möchte sie packen und anschreien: "Jetzt schaut doch mal auf Yoni!!" Es ist herzzerreißend, wie er als Einziger ernsthaft versucht mit der Situation klar zu kommen, obwohl er doch das "Kind" ist, das Zwendung braucht, mindestens so wie Tomer. Yoav Rotman ist als der fröhliche, manchmal fast etwas altkluge Yoni absolut überzeugend. Erfrischend auch, dass man endlich mal einen israelischen Film zu Gesicht bekommt, der weder in Tel Aviv noch in Jerusalem noch in irgendwelchen hart beschossenen Grenzgebieten spielt. Sondern einfach in einem ganz normalen, friedlichen Dorf am sonnigen Strand.

wundervoll

Mittwoch, 16. Februar 2011

Berlinale 2011-2: Jodaeiye Nader az Simin

NADER AND SIMIN, A SEPERATION von Asghar Farhadi - IRAN-F 2011(Wettbewerb)

Wenn das Wort "Schmerz" je einen Film verdient hat, dann diesen.
Er beginnt mit dem Gerichtstermin, in dem Simin ein letztes Mal verzweifelt versucht, die Scheidung von ihrem Mann Nader durchzusetzen. Sie will auswandern, raus aus Teheran und dem Iran, sie hat auch schon alle Papiere zusammen, denn sie sieht für sich, vor allem aber für ihre elfjährige Tochter Termeh keine Zukunft in dem restriktiven Land. Doch Nader will bleiben, um seinen schwer altzheimerkranken Vater zu pflegen und willigt der Ausreise der Tochter nicht ein, die sich - vorerst - entschieden hat bei ihm zu bleiben.

Notgedrungen verlässt Simin ihre Familie - nur vorübergehend, was ihr Mann jedoch nicht weiß. Er muss nun eine Pflegehilfe für seinen Vater anstellen, Razieh, eine strenggläubige Muslimin, obendrein auch noch schwanger. Sie verheimlicht ihrem arbeitslosen Ehemann, dass sie bei einem alleinstehenden Mann arbeitet, und fragt sogar beim muslimischen Telefonnotdienst nach, ob sie den Vater berühren darf, als dieser sich eingenässt hat. Als sie ihn eines Tages, für ein paar Stunden nur allein lässt, fällt der bettlägrige Vater. Zwischen Razieh und Nader kommt es zum heftigen Streit, infolgedessen sie ihr Ungeborenes verliert. Und so nimmt das Unglück seinen Lauf, es kommt zum langen, unerbittlichen Rechtsstreit zwischend den beiden Familien. Doch womit hat es eigentlich angefangen? Damit, dass Simin auf ihre Trennung und Ausreise pochte? Oder dass Razieh Geheimnisse vor ihrem Mann hat, haben muss?

In dieser Familienfehde haben alle Recht, und doch sind sie auch alle im Unrecht und verstricken sich immer weiter in Lügen. Der schlimmste "Täter" jedoch ist der Staat, der stets über allen und allem schwebt und uns in jeder Szene begegnet: Wenn Razieh immer wieder mühselig den bleiern schweren Tschador zusammenrafft der nichts anderes ist als permanent im Weg; wenn der Richter willkürlich Strafen festsetzt, bevor er richtig zuhört; oder wenn Nader stur immer weiter versucht wenigstens seinen Stolz zu retten, da ihm sonst nichts mehr geblieben ist. Die Handlungen aller Figuren sind bis zur letzten Geste hundertprozentig nachvollziehbar, verständlich, so sehr, dass es schon wehtut. Und doch möchte man sie immer wieder an den Schultern packen und durchschütteln, allen voran Nader mit seiner endlosen Sturheit, die alles nur noch schlimmer macht. Peyman Moadi spielt den pragmatischen Ehemann und liebevollen Vater absolut herausragend. Ebenso wunderbar ist Sarina Farhadi als Termeh, die still alles erträgt und doch eigentlich die Einzige ist, die von Anfang an weiß, was das Richtige ist.

Bei allen politischen und moralischen Botschaften, die diesem Film immanent sind: Es ist und bleibt in erster Linie die großartig erzählte, perfekt inszenierte Geschichte einer zum Scheitern verdammten Ehe. Auch wenn Regisseur Farhadi seine Figuren wie beim Schachspiel geschickt, Zug um Zug in Richtung "Schachmatt" bewegt - er bleibt mit der Kamera und mit den Worten immer hautnah bei seinen Figuren. Nader und Simin sind fast nie gemeinsam im Bild, und wenn, dann von Glasscheiben und Türen getrennt. Und zugleich ist in jedem Blick Naders die Liebe zu seiner Frau zu sehen, die immer noch da ist - und in jedem Blick Simins die Verzweiflung darüber, dass Liebe allein nicht reicht, nicht unter diesen Umständen. Das Ganze kluminiert in der simplen wie grandiosen Schlussszene, die auf all die moralischen Fragen keine Antworten gibt. Und so bleibt die Trennung Nader und Simins Sinnbild eines zutiefst zerrissenen Landes.

hervorragend

Montag, 14. Februar 2011

Berlinale 2011-1: Ausente

Über die Filme zu berichten, die mich nicht beeindruckt haben, ist mir die Zeit zu schade. Also folgen hier nur Besprechungen zu jenen, die mindestens ein "durchaus anschaubar" verdient haben.

AUSENTE (Absent), von Marco Berger - ARG 2011 (FORUM)

Ein Teenager sitzt auf der Bank in einem Schulschwimmbad. Er betrachtet seine Zehen, fährt sich immer wieder durchs Haar, später überprüft er mehrfach sein Aussehen im Spiegel. Es ist die Art von Selbstverliebtheit, die nur die Unsicherheit und die gleichzeitige Geltungssucht der Jugend hervorbringen kann. So ist sich der sechzehnjährige Martín, Schüler an einer Jungenschule in Buenos Aires, auch nicht im Klaren, was genau er da für seinen Sportlehrer Sebastian empfindet. Es äußert sich nur in einer Art bedrohlichem Verlangen, das von der fast schon "Psycho"-haften Thrillermusik untermalt wird.

Unter allerlei Vorwänden und einer gut ausgedachten Lügenkette schleicht er sich in Sebastians Wohnung ein. Martín flirtet mit ihm, kokettiert immer wieder mit der Tatsache, dass er unvorschriftsmäßig als Minderjähriger bei einem Lehrer übernachtet - sei es, indem ihm ganz aus Versehen das um die Hüfte geschlugene Handtuch just in dem Moment runterfällt, als die Nachbarin in der Tür steht oder indem er permanent lasziv und halbnackt auf dem Sofa hängt. Martín nutzt Sebastian für seine Spielchen aus und dieser will es zunächst nicht wahrhaben und sieht sich dem zunehmend hilflos gegenüber. Schließlich wird es Nacht, und, wie Martín später selbst sagt: "I thought maybe something would happen."

Dem jugendlichen Verlangen und rücksichtslosen Fordern, das Martín verkörpert, steht Sebastians abwehrende, stets auf die eigene Sicherheit bedachte Reserviertheit gegenüber, eine typisch erwachsene Eigenschaft. Und genauso auf ihre eigene Art rücksichtslos, wie Sebastian später - zu spät - erfahren wird. Denn auch wenn nicht in dieser Nacht und nicht das vermeintlich Erwartete geschient, es geschieht etwas. Es geht darum, dass manche Dinge einfach passieren und außerhalb unserer Kontrolle liegen. Und es geht um Vergebung.

Marco Bergers zweiter Langfilm dreht sich, wie auch sein Erstlingswerk "Plan B" (2009), um komplexe zwischenmenschliche Beziehungen und die sexuelle Identität, die sich daraus entwickelt und die bei ihm jedoch nie etwas Eingemeißeltes oder primär Definierendes ist. Javier de Pietro spielt Martín, das ewig lockende Babyface sehr überzeugend, v.a. wenn man bedenkt dass er zu dem Zeitpunkt schon 22 Jahre alt war. Ganz wunderbar ist jedoch Carlos Echevarria in seiner Rolle als Sebastian, der eigentlichen Hauptfigur. Er zeigt mit minimaler Mimik - ich habe mitgezählt: er lächelt im gesamten Film ganze zweimal - wie er sich von Martín auf unerklärliche Weise angezogen fühlt und dies zugleich verzweifelt abzuwehren versucht. Er senkt ganz leicht den Blick, wirft ihm garstige Worte an den Kopf, die er verschreckt wieder zurückholt. Das Zusammenspiel der beiden Hauptakteure macht denn auch die eingangs erwähnte und bisweilen anstrengende Musik allemal wett. Marco Berger ist es gelungen, die dunkle Seite des "Gefühls Jugend" in einen Film zu packen. Ja, er ist traurig, manchmal auch verwirrend, aber auch sehr warmherzig. Wie gesagt: die Jugend eben.

Also: sehenswert

Mittwoch, 9. Februar 2011

Gute Jahre, schlechte Jahre

Nach japanischem Volksglauben ist das 33. Lebensjahr einer Frau ein yakudoshi, also Unglücksjahr. Da ich im Dezember vergangenen Jahres 32 geworden bin und immer das Kalenderjahr zählt, in dem die Frau 33 wird, befinde ich mich also genau jetzt in diesem großen Unheil (taiyaku).
Es gibt verschiedene Theorien, woher dieser Glaube kommt. Eine davon ist, dass es an der Zahl 33 selbst liegt. Wenn man diese Zahl als "drei-drei" liest, kommt im Japanischen san-san heraus, was wiederum auch alle Mühen zunichte bedeuten kann. Andere gehen von der Numerologie des Ying-Yang aus, wonach eine doppelte Yingzahl wie die Dreiunddreißig Unglück bringt.
Doch auch hier gibt es, wie bei allen Arten von Aberglauben, eine optimistische - nun ja, genaugenommen: sich schön redende Leseweise. Yaku heißt zwar Unheil, hingegen yaku ni tatsu - natürlich mit einem anderen Sinoschriftzeichen - etwas bringen oder nutzen. In dieser Interpretation des yakudoshi steckt bestimmt auch der typische weil pragmatische Gedanke, dass jede Krise ihr Gutes hat.
So oder so: Anfang dreißig ist für Frauen, damals wie heute, sicherlich kein einfaches Alter. Es ist die Zeit, in der bei vielen die folgenschwersten Entscheidungen fallen. Karriere ja oder nein, und wenn ja - welche? Familie ja oder nein? Auswandern ja oder nein? Auch gesundheitlich gehen die ersten Probleme los, wie Rückenschmerzen, angeschlagenes Immunsystem, längere ... DEUTLICH längere Regenerationszeiten nach massivem Alkoholkonsum u.s.w. Und wenn ich um mich schaue, hat sich bei vielen meiner Freundinnen tatsächlich etwas Einschneidendes getan. Endlich Heiraten, plötzlich langjähriger Freund weg, endlich Kinderkriegen, plötzlich doch nochmal Studieren.
Für meinen Teil beschränken sich die Krisen und Katastrophen bislang auf die üblichen Gedanken (Frage nach dem Lebenssinn, allgemeine Ziellosigkeit) bzw. kleinen Wewehchen (Probleme mit dem Finanzamt, Kaffeekanne in der Küche explodiert) - fingers crossed!! denn wir haben ja erst Anfang Februar. Bei solchen Gedankengängen stelle ich mir nur immer wieder die Frage: Wenn man immer nur kleine Krisen und Chaos kennt, verdient - oder spürt? - man dann auch immer nur ein kleines Glück? Oder ist Glück sowieso relativ, und subjektiv allemal? Kann man sich überhaupt so etwas wie Glück verdienen? Keine Ahnung. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich mir jetzt das ganz große Unheil herbeiwünsche. Was my own private yakudoshi betrifft, so werde ich der Dinge harren die da kommen wie sonst auch. Okay. Mit ein paar Talisman mehr als sonst.
... Hatte ich oben erwähnt, dass ich durch ein unglaublich blödes Missgeschick meinen schlangenförmigen Schutzring verloren habe ...?

P.S.: Für die Herren der Schöpfung ist übrigens das 42. Lebensjahr das yakudoshi, denn "vier-zwei" heißt im Japanischen shi-ni, also sterben. Midlifecrisis, sage ich da nur ...